Stein, Pflanze oder Tier?
Die Symphyllia sinuosa gehört zu den Steinkorallen. Da ihr Kalkskelett eine gewundene Oberfläche besitzt, trägt sie neben ihrem wissenschaftlichen Namen zusätzlich die Bezeichnungen Mäanderkoralle oder Hirnkoralle. Das lebendige Gewebe der Steinkoralle, ihre Polypen, sorgen für Wachstum, Fortpflanzung und Ernährung. Sie konnten im Präparat nicht mit erhalten werden.
Eine erste Beschreibung der Art erfolgte im Jahr 1833 durch die beiden französischen Naturforscher Jean René Constant Quoy und Joseph Paul Gaimard. In der Ausstellung des Zoologischen Museums stand sie mit anderen Objekten für die Gruppe der Nesseltiere, zu der auch Quallen und Seeanemonen gehören. Das Präparat hat damit eine systematische Bedeutung.
Symphyllia sinuosa (Quoy & Gaimard, 1833)
(Inv. Nr. ZMUG 1737)
Zoologisches Museum der Universität Göttingen
Präsentation der Koralle im Zoologischen Museum der Universität Göttingen
(Quoy & Gaimard, 1833)
(Quoy & Gaimard, 1833)
(Quoy & Gaimard, 1833)
Die erste Beschreibung
Zu sehen ist die Titelseite von Band IV des mehrteiligen Reiseberichts „Voyage de la corvette I’Astrolabe“ von J.R.C. Quoy & J.P. Gaimard, in dem die Symphyllia sinusosa erstmals beschrieben wird.
Gültigkeit der Gattung Symphyllia?
Gezeigt wir die erste Seite der Studie, in der herausgestellt wird, dass die Gattung Symphyllia vielmehr als Synonym der Gattung Lobophyllia zu betrachten ist.
Quelle: Zoological Journal of the Linnean Society, Band 178, 2016.
Stein, Pflanze oder Tier?
Jedes Lebewesen erhält heute mit seinem wissenschaftlichen Namen und durch die einzigartige Kombination aus Gattungs- und Artbezeichnung eine genaue Platzzuweisung in der verwandtschaftlichen Systematik. Die internationalen Regeln für die Zoologische Nomenklatur sorgen dabei dafür, dass diese wissenschaftliche Benennung und Klassifikation der Tierarten stets einheitlich geschieht.
Doch wie eindeutig sind diese lateinischen Bezeichnungen? Was verschweigt uns die Koralle und die Symphyllia sinuosa im Speziellen?
Aufbewahrt in einer Glasvitrine mit weiteren Präparaten der Verwandtschaftsgruppe der Nesseltiere (Cnidaria) wurde die hier gezeigte Koralle im ehemaligen Zoologischen Museum ausgestellt. Allein ein kleines Objektschild hielt dabei folgende Information bereit: „Mäanderkoralle, Symphyllia sinuosa (Quoy & Gaimard, 1833)“. Die Bezeichnung „Mäanderkoralle“ wird für Steinkorallen unterschiedlicher Gattungen genutzt und rekurrierte damit nicht auf verwandtschaftliche Eigenschaften, sondern lediglich auf die Wuchsform und äußere Erscheinung. Symphyllia sinuosa ist der wissenschaftliche Name dieser Koralle. Die letzte Angabe verwies schließlich auf die erste Beschreibung der Art im Jahr 1833 durch die beiden französischen Naturforscher Jean René Constant Quoy (1790-1869) und Joseph Paul Gaimard (1793-1858).
Die mit diesem Objektschild suggerierte Eindeutigkeit bezüglich der wissenschaftlichen Einordnung der Koralle gerät jedoch ins Wanken, geht man der Geschichte des Objekts nach.
Denn bereits in ihren Anfängen war die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Korallen von großen Widersprüchlichkeiten geprägt. Eine wichtige Rolle spielte hierfür die Beobachtung, dass Korallen durchaus verschiedene Gesichter besitzen konnten. So herrschte bis ins 18. Jahrhundert unter Naturforscher*innenn Unklarheit über die Gattungszugehörigkeit der Korallen.
In gewisser Weise bestätigt das Verhalten der Koralle ihre Unbeständigkeit: Während ihre Polypen sich unter Wasser zum Teil wie Algen bewegen und die Farbenvielfalt der Korallen an Blüten erinnern mag, so wandelt sich ihr äußeres Erscheinungsbild an der Luft mit Einsetzen des Trocknungsprozesses und des Absterbens der Polypen massiv. Zurück bleiben dann nur ihre Kalkskelette. Unter Bezeichnungen wie beispielsweise Pflanzentiere, Meeressteine oder auch Korallenblüten galten Korallen deshalb lange als hybride Geschöpfe. Ihre Rolle als Verwandlungskünstler erklärt dabei auch die hohe symbolische und ikonografische Aufladung von Korallen als Zeichen für Frieden und Einklang zwischen Mensch und Wassernatur und als Symbol alles Lebendigen. Erst der französische Forscher Jean André Peyssonel (1694-1759) identifizierte auf Grundlage seiner im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts durchgeführten Experimente und Beobachtungen den lebenden Bestandteil der Korallen, ihre Polypen, als Tiere.
Doch auch wenn Korallen heute ganz selbstverständlich als Tiere angesehen und zusammen mit Seeanemonen und Quallen der Gruppe der Nesseltiere zugeordnet werden, sind ihre wissenschaftlichen Bezeichnungen eher der Versuch einer Platzzuweisung als das Ergebnis eines abgeschlossenen Prozesses. Die Symphyllia sinuosa zeigt dies beispielhaft.
Begibt man sich mit den Informationen des Objektschildes der hier gezeigten Koralle auf Spurensuche, so stößt man in erster Linie auf Widersprüche. Schon eine Recherche über die erste Beschreibung der Art durch Quoy und Gaimard lässt die Eindeutigkeit des wissenschaftlichen Namens verblassen. In ihrem 1833 veröffentlichten mehrteiligen Reisebericht „Voyage de la corvette l’Astrolabe“ hielten sie die Ergebnisse der unter dem Kommando von Jules Dumont d’Urville gemachten Weltumsegelung von 1826-1829 fest. Im Expeditionsbericht tauchte der Name Symphyllia sinuosa allerdings an keiner Stelle auf. Stattdessen nutzten die beiden Naturforscher in ihrer Beschreibung der Spezies die Bezeichnung Meandrina sinuosa Quoy & Gaimard, 1833.
Im World Register of Marine Species (WoRMS), einer Plattform, die umfassend Auskunft über die wissenschaftlichen Namen der bekannten Meeresorganismen gibt, zeigt sich, dass sowohl die Symphyllia sinuosa als auch die Meandrina sinuosa einen Eintrag besitzen, beide jedoch den Status „unaccepted“ erhalten haben. Als akzeptierter Name wird hier Lobophyllia sinuosa (Quoy & Gaimard, 1833) aufgeführt. Es sind folglich drei wissenschaftliche Bezeichnungen für die hier ausgestellte Koralle im Umlauf, von denen jedoch nur eine gegenwärtig als akzeptiert gilt. Denn die 2016 veröffentlichten Ergebnisse der Untersuchungen mehrerer Wissenschaftler*innen stellen unter anderem heraus, dass die Gattung Symphillia vielmehr als Synonym der Gattung Lobophyllia zu betrachten ist. Der originale Name Meandrina sinuosa sowie die Bezeichnung Symphyllia sinuosa gelten deshalb heute lediglich als veraltete Synonyme des nun gültigen Namens Lobophyllia sinuosa.
Für Außenstehende suggerieren wissenschaftliche Namen damit Starrheit und Abgeschlossenheit wo eigentlich Bewegung herrscht. Das Objektschild aus dem Göttinger Zoologischen Museum zeigt exemplarisch, wie ein wichtiges Ordnungsprinzip, die Taxonomie, ein Bild von Wissenschaft produzieren kann, das ihrer Lebendigkeit und Veränderlichkeit zunächst nicht gerecht zu werden scheint. Doch auch wenn die Symphyllia sinuosa uns auf den ersten Blick ihren eigentlichen Namen verschweigt, eröffnet sie uns über die enthaltenden Widersprüchlichkeiten auch Einblicke in die Zeitlichkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und damit in die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens.
Frauke Ahrens
Quellen:
Bredekamp, Horst (2005): Darwins Korallen. Die frühen Evolutionsdiagramme und die Tradition der Naturgeschichte (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 75). Berlin: Verlag Klaus Wagenbach.
Bredekamp, Horst (2005): ‚Darwins Korallen‘. In: Anke te Heesen und Petra Lutz (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd.4). Köln et al.: Böhlau Verlag, S. 77-87.
Dunmore, John (2007): From Venus to Antarctica. The Life of Dumont d’Urville. Auckland: Exisle Publishing.
Duyker, Edward (2014): Dumont d’Urville. Explorer & Polymath. Dunedin: Otago University Press.
Hamilton-Paterson, James (1992): Seestücke. Das Meer und seine Ufer. Stuttgart: Klett-Cotta.
Huang, Danwei et al. (2016): ‚Taxonomic classification of the reef coral family Lobophylliidae (Cnidaria: Anthozoa: Scleractinia)‘. In: Zoological Journal of the Linnean Society 178, S. 436-481.
Löser, Hannes (Hg. 2016): Catalogue of Cretaceous Corals. Volume 4. Systematic Part. Dresden: CPress.
Quoy, J. R. C.& J. P. Gaimard (1833): Voyage de la corvette l’Astrolabe. Exécuté par ordre du Roi, Pendant les Années 1826-1827-1828-1829, Sous le Commandement de J. Dumont d’Urville. Zoologie IV. Paris: J. Tastu.
Internetquellen:
World Register of Marine Species (WORMS), http://www.marinespecies.org (Zugriff: 28.09.2018).
International Commission on Zoological Nomenclature (ICZN), http://iczn.org (Zugriff: 28.09.2018).