Der Wissenschaft im Tod dienen
Der mexikanische Ureinwohnerschädel befindet sich in der wohl weltweit ältesten noch erhaltenen universitären Schädelsammlung, in der Göttinger Blumenbachsammlung. Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) war Anatom und Anthropologe. Er studierte die biologische Vielfalt des Menschen anhand von Schädeln, die er teils selbst sammelte, teils von Freunden, Gelehrten und Kollegen als Geschenk erhielt. Um 1798 hatte er für seine Arbeit 82 Schädel inventarisiert und beschrieben.
Dieser Schädel kam nach Blumenbachs Tod in den Bestand der Sammlung. An ihm ist das Schädeldach besonders markant: Im Röntgenbild zeigt sich eine auffällige Verdickung oberhalb des Schädelknochens, die aus einer akuten Blutarmut hervorging und noch zu Lebzeiten verheilte. Bis heute werden Schädel in der Anatomie, Paläopathologie, Forensik und in der Medizingeschichte zu Lehr- und Forschungszwecken eingesetzt.
Schädel eines etwa 50-59 Jahre alten Mannes
Xalapa/Mexiko, 1873 (Inv. Nr. 447/814)
Blumenbach’sche Schädelsammlung der Universität Göttingen
Krankheitsbilder und Schönheitsideale im präkolumbischen Mexiko
Unten: Auf der linken Seitenansicht sieht man, dass der Schädel zu Lebzeiten deformiert wurde, um einem zeitgenössischen Schönheitsideal zu entsprechen. Sowohl an der Stirn (A) als auch am Hinterhaupt (B) treten künstliche Abplattungen des Schädels in Erscheinung, die durch Umwickelung des Kopfes mit Binden erzeugt wurden. Fotoaufnahmen des Schädels aus Xalapa/Mexiko,
Bildnachweis: Michael Schultz, Universität Göttingen.
Eine überwundene Krankheit
Unten: Die Detailaufnahme des Schädels zeigt die rechte Kranznaht und eine durch chronische Blutarmut (Anämie) bedingte, poröse Knochenverdickung.
Foto-/Röntgenaufnahme des Schädels aus Xalapa/Mexiko, Bildnachweis: Michael Schultz, Universität Göttingen.
Präsentation des Schädels im Anatomischen Instituts der Universität Göttingen
3-D-Scan des Schädels aus Xalapa
„Valar Morghulis – Valar Doehaeris: Alle Menschen müssen sterben – Alle Menschen müssen dienen“
„Valar Morghulis – Valar Doehaeris“ ist eine Redewendung in Game of Thrones, die vor allem unter den Gläubigen des Vielgesichtigen Gottes verwendet wird. Übersetzt bedeutet sie: „Alle Menschen müssen sterben – Alle Menschen müssen dienen“. Der Kreislauf des Lebens beginnt diesem Glauben zufolge mit der Geburt. Zu Leben bedeute, Erfahrungen zu sammeln, ein neues Leben in die Welt zu setzen, Weisheiten und Erfahrungen weiterzugeben, bis mit dem Tod das Endgültige in Erscheinung trete.
Im christlichen Glauben führt der Tod in das Paradies; andere Glaubensrichtungen nähren die Hoffnung auf eine Wiedergeburt. Je nach Glaube findet die Seele einen Weg. Doch was passiert mit den Überresten nach unserem Dasein? Einige Überreste verstorbener Menschen dienen heute der Wissenschaft. Sie geben Aufschlüsse über schon längst Vergangenes. In Game of Thrones dienen ihre Gesichter dem Vielgesichtigen Gott, der im Haus von Schwarz und Weiß wohnt, in dem sich die Halle der Gesichter befindet. In ihr werden die Gesichter der Toten gesammelt, damit später die Männer ohne Gesicht deren Identität übernehmen können. Ist diese Gesichtssammlung eine Anspielung auf die Schädelsammlungen unserer Gegenwart? Falls ja, weshalb gibt es bei uns Schädelsammlungen und wozu dienen sie?
Der menschliche Schädel fasziniert die Menschen seit jeher, ob in der Kunst oder in der Wissenschaft. Er ist der Teil des Körpers, der die Persönlichkeit ausmacht, hier träumt, denkt, spricht, riecht, schmeckt, sieht und hört der Mensch, hier werden die Erinnerungen gespeichert und das Gleichgewicht aufrechterhalten. Gesammelt werden Schädel seit Jahrtausenden, sei es in Form von Ahnenschädeln, als Schrumpfköpfe oder als Trophäenschädel. Jeder Schädel hat seine kulturelle Bedeutung und Aufladung.
In der Blumenbachschen Schädelsammlung dienten die Schädel, die zu Lebzeiten von Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) gesammelt, bearbeitet, beschrieben und inventarisiert wurden, der Repräsentation von biologischer Vielfalt des Menschen. Blumenbach ging anders als viele seiner Kollegen nicht von vier, sondern von fünf Varietäten aus, die er als kaukasisch, mongolisch, äthiopisch, amerikanisch und malayisch bezeichnete.
Der Präkolumbische Schädel aus Mexiko stammte von einem 50- bis 59-jährigen Mann, der während seines Lebens unter einer Blutarmut gelitten haben muss. Diese Anämie ist im Röntgenbild durch die Schädeldachverdickung zu erkennen. Die Detailaufnahme des Schädeldaches zeigt die rechte Kranznaht mit anämiebedingter poröser Oberfläche. An seinem Schädel ist zudem eine als Schönheitsmerkmal bekannte Deformation aus der präkolumbischen Zeit zu sehen. An der Abbildung der linken Seitenansicht erscheint die Stirn (A) und das Hinterhaupt (B) künstlich abgeplattet. Die Vorderansicht des Schädels macht weitere Krankheiten wie eine Stirnhöhlenentzündung (A), eine Kiefernhöhlenentzündung (B) und einen Nasenbeinbruch (weißer Pfeil) sichtbar.
All diese Merkmale können Hinweise auf das Leben der Person geben, deren Schädel wir als Knochenpräparat vor uns sehen. Was auf den ersten Blick nur ein altes Knochengebilde ist, wird durch Anatomie, Paläopathologie, Forensik und Medizingeschichte zu neuem Leben erweckt und gibt uns eine Vorstellung davon, was Krankheit, Gesundheit und Tod in vergangenen Zeiten bedeutet hat. Die Wissenschaft wirkt auf den Menschen bis weit über den Tod hinaus. Sie ist unsere Vergangenheit und unsere Zukunft, wir dienen ihr bis in den Tod. Dies gibt dem Game of Thrones Zitat „Alle Menschen müssen sterben – Alle
Menschen müssen dienen“ eine völlig neue Dimension.
Jennifer Pötzsch
Quellen- und Literaturverzeichnis:
Game of Thrones. Prod. David Benioff, D. B. Weiss. Television 360,Grok! Television,Generator Entertainment,Startling Television,Bighead Littlehead, USA, 2011-2018. Fernsehserie.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 204. In: Deutsches Textarchiv, http://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/238, abgerufen am 20.08.2018.
Schultz, Michael. Die Blumenbachsche Schädelsammlung, S.106-116, in: Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Hg. Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen 201